Abacavir und das Risiko für Herzinfarkte. BMC Medicine
Das HIV-Medikament Abacavir wird bei HIV-infizierten Personen in Kombination mit anderen HIV-Medikamenten häufig in der HIV-Therapie eingesetzt. Die Resultate von verschiedenen Studien lassen darauf schliessen, dass die Einnahme von Abacavir zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte führt. Aufgrund der aktuellen Datenlage ist allerdings nicht ganz klar, ob es sich dabei tatsächlich um ein erhöhtes Risiko handelt oder ob Abacavir in der Vergangenheit bloss häufiger bei HIV-infizierten Personen eingesetzt wurde, welche aufgrund bereits bestehender traditioneller Risikofaktoren (z.B. Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes) per se ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt aufgewiesen hatten und das höhere Risiko dadurch erklärt war.
Um diese Unsicherheit zu klären, haben die Autoren der vorliegenden Studie die Daten von fast 50’000 HIV-infizierter Personen analysiert, welche von 2008 bis 2013 mit Abacavir behandelt wurden. Dieser Zeitraum wurde bewusst gewählt, da ein Zusammenhang von Abacavir mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte seit 2008 bekannt ist und dies möglicherweise dazu geführt hat, dass Abacavir seither weniger oft bei HIV-infizierten Personen mit einem hohen Risiko für Herzkreislauferkrankungen verschrieben wurde. Dies könnte dazu geführt haben, dass neuere Studien den Zusammenhang von Abacavir mit Herzinfarkten nicht mehr bestätigen können.
Die neue Analyse ergab nun, dass die Herzinfarktrate bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie 0.47 Fälle pro 100 Patientenjahre betrug und bei Personen ohne Abacavir-haltiger Therapie 0.21 Fälle pro 100 Patientenjahre. Anders ausgedrückt: wenn man 400 HIV-infizierte Personen ein Jahr lang beobachtet, treten bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie zwei Herzinfarkt auf und bei Personen ohne Abacavir-haltiger Therapie ein Herzinfarkt. Mittels weiterer statistischer Tests wurde weitgehend ausgeschlossen, dass diese erhöhte Rate an Herzinfarkten bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie durch andere Gründe erklärt sein könnte, zum Beispiel durch das Vorliegen bestehender traditioneller Risikofaktoren, dem Alter, dem Geschlecht oder einer tiefen T-Helferzellenanzahl. Die Endanalyse ergab, dass eine Person unter Abacavir-haltiger Therapie ein doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt aufwies im Vergleich zu einer Person ohne Abacavir-haltiger Therapie.
Zusammenfassend zeigt die Analyse, dass Abacavir wahrscheinlich zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte führt. Die Gabe von Abacavir sollte deshalb bei HIV-infizierten Personen mit einem mittleren oder hohen Risiko für Herzinfarkte vermieden werden.
Kommentar Dr. med. D. Braun und Prof. H. Günthard, SHCS
Der Mechanismus für die beobachtete erhöhte Herzinfarktrate bei Personen unter Abacavir ist nach wie vor unklar. Die Daten weisen aber darauf hin, dass tatsächlich ein medikamentöser Effekt vorliegt und dieser nicht durch andere verzerrende Faktoren erklärt ist. Wir setzen deshalb Abacavir bei Personen mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen seit vielen Jahren bewusst nicht mehr ein. Wichtiger als der Verzicht auf Abacavir in dieser Risikogruppe ist jedoch die Behandlung und die Verhinderung anderer Risikofaktoren, wie beispielsweise ein Rauchstopp, die Gewichtabnahme und die Blutdruckeinstellung. Aktuell laufende Studien untersuchen zudem die Wirksamkeit einer sogenannten Mono- oder Dual-Therapie, bei der HIV-infizierte Personen nur mit einer oder zwei antiretroviralen Substanzen behandelt werden, damit bestimmte HIV-Medikamente mit Potential für eine Langzeittoxizität sicher weggelassen werden können.