2020

8. Oktober Braun et al., Hepatitis C lässt sich bei HIV-positiven MSM eliminieren


Hepatitis C lässt sich bei HIV-positiven Männer, die Sex mit Männern haben, eliminieren
.     Clinical Infectious Disease

HIV-positive Männer, die Sex mit Männern haben, können sich über den sexuellen Weg mit Hepatitis C infizieren. Eine Kombination von systematischem Testen, hochwirksamen Hepatitis-C-Medikamenten und Verhaltensintervention kann die Viruserkrankung in dieser Risikogruppe eliminieren. Das zeigt eine vom Universitätsspital Zürich durchgeführte, schweizweite Studie.

Weltweit nimmt die Zahl der HIV-positiven Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und sich mit Hepatitis C (HCV) anstecken, deutlich zu. Seit 2008 wurde in der Schweiz in dieser Risikogruppe ein fast zwanzigfacher Anstieg von neuen Hepatitis–C-Infektionen verzeichnet. Diese Beobachtung entstammt der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie, deren Teilnehmer routinemässig einmal im Jahr auf HCV getestet werden.

Im Rahmen einer schweizweiten Studie «Swiss HCVree» testeten Braun und Kollegen in einer ersten Phase 3'700 (80%) aller 4’000 HIV-infizierten MSM aus der Schweizerischen Kohortenstudie mit dem modernsten Testverfahren auf Hepatitis C. Dabei fanden sie 177 HCV-Infektionen. Dies entspricht einem Vorkommen der Erkrankung bei 4.3 Prozent der MSM in der SHCS. Von den 177 entdeckten Infektionen hatten sich 31 Teilnehmer im vergangenen Jahr neu infiziert, die übrigen litten an einer chronischen Hepatitis C. In der zweiten Phase der Studie wurde allen Teilnehmern eine kostenlose Behandlung mit hochwirksamen Anti-Hepatitis-Präparaten angeboten. Dies zu einer Zeit, in der die Krankenkassen die bis zu 80'000 Franken teure Therapie nur bei einem kleinen Teil der HCV-infizierten Personen in der Schweiz übernahmen. Dank der Studie konnten die Teilnehmer nun doch von einer Behandlung profitieren.

Insgesamt liessen sich 90 Prozent der Studienteilnehmer medikamentös behandeln. Während zwölf Wochen nahmen sie täglich ein Präparat ein. Bis auf einen konnten alle Teilnehmer von ihrer Hepatitis-C-Infektion geheilt werden. Die meisten Studienteilnehmer profitierten zusätzlich von einer Verhaltensintervention mit dem Ziel ihr sexuelles Risikoverhalten zu reflektieren. Die Verhaltensintervention wurde von einer Forschergruppe von der Universität Basel eigens für den Swiss HCVree Trial entwickelt. In vier Sitzungen wurden die Teilnehmer mittels Videomaterial und Gesprächen darauf geschult, sexuell riskantes Verhalten zu reduzieren und damit das Risiko einer erneuten HCV Infektion zu minimieren.

Gleich im Anschluss an die Behandlungsphase wiederholten Braun und Kollegen den HCV-Test an derselben Personengruppe wie in der ersten Phase. Dabei fanden sie 84 Prozent weniger chronisch Infizierte, die Zahl der Neuinfektionen war halbiert. Das Vorkommen der Erkrankung hatte sich um das Zehnfache von 4.3 auf 0.4 Prozent reduziert. Bei den 20 Prozent der MSM welche innerhalb der Studie nicht getestet wurden, haben sich die Forscher die Datenbank und die Blutbank der SHCS zu Nutze gemacht, um die Analysen für den Zeitraum bis Ende 2019 zu komplettieren. Aus tiefgefrorenen Plasmaproben und mittels Abgleich der SHCS-Datenbank wurde für 99 Prozent dieser MSM der HCV-Test nun nachträglich ergänzt. Es fanden sich nun im ganzen Jahr 2019 nur noch zwei Hepatitis C Neuinfektionen; das Ziel der HCV-Elimination war erreicht.

Insgesamt hat die Swiss HCVree Studie gezeigt, dass man in einer Risikopopulation mit gezielten Massnahmen Hepatitis C eliminieren kann. Die in der Studie untersuchte Kombination von systematischem Testen, medikamentöser und Verhaltenstherapie werten die Autoren als geeignete Methode, um Hepatitis C bei HIV-positiven Männern, die Sex mit Männern haben, langfristig zu eliminieren, was die WHO als Ziel vorgegeben hat. Die Studie hat zudem Modellcharakter: das grundlegende Prinzip, mit umfassender Diagnostik und angewandter Therapie die Übertragungskette zu unterbrechen, lässt sich auch auf andere Bevölkerungs- oder Patientengruppen übertragen.

PubMed

12. August Europäische Richtlinien: COVID-19 und Menschen mit HIV


Die Europäischen Richtlinien zur Behandlung von HIV äussern sich zur aktuellen Situation bezüglich COVID-19 und Menschen mit HIV.

EACS_Society_COVID_HIV_2020

Zusammenfassend wird auf folgende Punkte hingewiesen:

  • Insgesamt besteht keine klare Evidenz für eine erhöhte Infektionsrate mit COVID-19 oder für häufigere Komplikationen bei Menschen mit HIV.

  • Komorbiditäten, die zu einem schwereren Verlauf führen können (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus oder chronische Lungenerkrankungen) sind bei Menschen mit HIV häufig und müssen optimal behandelt werden.

  • Eine unbehandelte HIV-Infektion und eine CD4-Zellzahl <200/ul wird als Risikofaktor angesehen, obschon hierfür bisher keine klare Evidenz besteht.

  • Die antiretrovirale Therapie soll nicht wegen COVID-19 umgestellt werden; die derzeit sehr unklaren Daten zur potentiellen Wirkung von HIV-Medikamenten gegen COVID-19 rechtfertigen keineswegs einen Wechsel der antiretroviralen Therapie.

  • Die nationalen Richtlinien zur Prävention und Behandlung von COVID-19 sollen befolgt werden.

  • Nützliche Links zu COVID-19 bei Menschen mit HIV finden sich am Ende des Dokumentes (inklusive Hinweisen zu Wechselwirkungen von COVID-19 Medikamenten mit antiretroviralen Substanzen).
1. Juli Hampel et al., Das Phänomen Chemsex in der Schweizerischen HIV Kohortenstudie von 2007 bis 2017


Das Phänomen Chemsex in der Schweizerischen HIV Kohortenstudie von 2007 bis 2017.   HIV Medicine

Chemsex drugs on the rise - so der plakative Titel einer kürzlich erschienenen Publikation einer Autorengruppe aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie (SHCS). Der Begriff Chemsex steht dabei für ein weltweit zunehmendes Phänomen, welches den Sexualverkehr unter dem geplanten Einfluss von psychoaktiven Substanzen beschreibt und fast ausschliesslich von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), praktiziert wird. Besonders häufig werden dazu Substanzen wie GHB/GBL, Mephedron, Ketamin, Methamphetamin, Poppers, Kokain und Amphetamin verwendet. Die vorliegende Arbeit hat nun innerhalb der SHCS untersucht, wie und wo Chemsex stattfindet und wer davon am meisten betroffen ist.

Die Autoren haben sich für ihre Analyse die Daten zur Erfassung von Substanzengebrauch in der SHCS zu Nutze gemacht, welche bei den SHCS Teilnehmern durch Fragebögen alle sechs Monate ermittelt werden. Zu den untersuchten Chemsex Substanzen haben die Autoren GHB/GBL, Metamphetamine, Ketamin, Mephredon, Kokain, XTC/MDMA und Poppers gezählt, weitere untersuchte Substanzen beinhalteten Cannabis, Heroin, Benzodiazepine, Opioide, LSD und andere Psychotropika oder Anabolika. Zudem haben die Autoren untersucht, ob gewisse Krankheitsbilder wie Depression oder sexuell übertragbare Infektionskrankheiten mit Chemsex vergesellschaftet sind. Als Zeitraum der Analyse haben die Autoren die Jahre 2007 bis 2017 gewählt.

Insgesamt wurden die Daten von über zwölftausend SHCS Teilnehmenden ausgewertet, davon waren knapp die Hälfte MSM und die übrigen Teilnehmenden heterosexuelle Männer und Frauen. Die meisten MSM kamen aus der Region Zürich. Über alle Teilnehmenden hinweg fanden die Autoren über die Zeit einen stabilen Anteil von ca. 10 Prozent der Frauen und Männern, die im analysierten Zeitraum mindestens einmal den Konsum von Drogen angegeben hatten. Anders sah es aus, als die MSM separat ausgewertet wurden: hier zeigte sich über die Zeit eine statistisch signifikante Zunahme an Chemsex von 9% in 2007 auf 14% in 2017. Besonders eindrücklich zeigte sich diese Zunahme durch einen zwölffachen Anstieg an Metamphetamingebrauch und einen dreifachen Anstieg beim Konsum von GBH/GBL. Bei den nicht-MSM fand sich hingegen eine signifikante Abnahme an Drogenkonsum.

In einem zweiten Schritt haben die Autoren die verschiedenen Schweizer Städte unter die Lupe genommen. Hier fanden sie in den Städten Genf, Lausanne, Bern, Basel, St. Gallen und Lugano nur eine minime Zunahme an Chemsex über die Zeit. Anders sah es in Zürich aus: hier zeigte sich eine massive Zunahme an Chemsex zwischen 2007 und 2017 mit dem deutlichsten Anstieg der Kurve zwischen 2015 bis 2017.

Zuletzt gingen die Autoren der Frage nach, ob der Konsum von Chemsex mit anderen negativen Folgen vergesellschaftet war. Auch hier wurden die Autoren fündig. Es zeigte sich nämlich, dass Personen, welche Chemsex angegeben hatten, häufiger an Depressionen litten und ungeschützten Sexualverkehr mit Gelegenheitspartnern praktizierten. Letzterer Umstand zeigte sich auch daran, dass Personen, welche Chemsex konsumiert hatten, häufiger mit einer Hepatitis C oder anderen sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten infiziert waren.

Zusammenfassend zeigt die Studie eindrücklich, dass das Phänomen Chemsex unter MSM in Zürich angekommen ist und wahrscheinlich über die kommenden Jahre zunehmen wird. Der Kollateralschaden von Chemsex zeigt sich darin, dass Männer, die Chemsex konsumieren, mehr sexuelles Risikoverhalten eingehen und sich dann häufiger mit Hepatitis C und anderen sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten infizieren. Wichtig ist deshalb, dass Personen, welche Chemsex konsumieren, alle drei bis sechs Monate auf sexuell übertragbare Infektionskrankheiten untersucht werden sollten. Weiter zeigt die Studie einen Zusammenhang zwischen Chemsex und Depressionen. Offen bleibt dabei die Frage, ob der Konsum von Chemsex zu mehr Depressionen führt oder eine Depression zur Folge hat, dass die Männer Chemsex konsumieren. Der Schluss der Studie ist, dass diese Zusammenhänge besser untersucht werden müssen und dies dazu beitragen kann, die Fallzahlen von HIV und sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten runterbringen zu können. Zuletzt können solche Studien wichtige Erkenntnisse erbringen, damit Programme zur Bekämpfung von Substanzengebrauch entwickelt werden können.

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17. März COVID-19 und HIV

Die SHCS bekommt mehr und mehr Anfragen wegen COVID-19 von Menschen mit HIV.

Zurzeit gibt es keine Evidenz, dass Menschen mit HIV ein höheres Risiko haben, an SARS-CoV-2 schwerer zu erkranken als andere. Es gelten deshalb die gleichen Risikofaktoren wie für die Gesamtbevölkerung.

Die hauptsächlichen Risikofaktoren schwerer zu erkranken sind,

  • Höheres Alter (> 65 Jahre)

  • Begleiterkrankungen wie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, chronische Lungenerkrankungen (z.B. COPD), Nierenerkrankungen, erhöhter Blutdruck

  • Immunsuppression/Krebs (z.B. durch Chemotherapien, Immunsuppressiva, immunmodulatorische Medikamente etc.)

Wichtig ist, dass Menschen mit HIV sich jährlich gegen Grippe impfen lassen und auch gegen Pneumokokken geimpft sind.

Bei Menschen mit HIV und obgenannten Risikofaktoren, einer unbehandelten HIV-Infektion oder bei Unsicherheiten rufen Sie doch bitte Ihren behandelnden Arzt an.

Wir beobachten die Situation ständig und werden entsprechende Anpassungen vornehmen.

Am wichtigsten ist es, dass sie den Empfehlungen vom Bundesamt für Gesundheit folgen und insbesondere, die Händehygiene und das Abstandhalten einhalten.

11. Februar Vannappagari et al., Fehlbildungsraten unter Dolutegravir in der Schwangerschaft


Fehlbildungsraten unter Dolutegravir in der Schwangerschaft.    Journal of Acquired Immune Deficiency Syndrome

Der Integrasehemmer Dolutegravir ist eine der am häufigsten eingesetzten HIV-Substanzen weltweit. In einer früheren Studie in Botswana/Afrika fanden sich Hinweise, dass Dolutegravir bei den Neugeborenen von Frauen, welche zum Zeitpunkt der Empfängnis unter Dolutegravir standen, eine erhöhte Rate an Rückenmarksfehlbildungen hervorgerufen hat. Die aktuelle Studie hat nun die Daten zu Dolutegravir und Fehlbildungen in der Schwangerschaft mit einer grösseren Anzahl Patientinnen nochmals analysiert. Das Ergebnis der Studie war: es gibt momentan keine klaren Signale, dass Dolutegravir tatsächlich zu einer erhöhten Rate an Fehlbildungen bei Neugeborenen führt. Weshalb auch nach dieser Studie dennoch gewisse Unsicherheiten verbleiben, lesen sie weiter unten.

Die Daten von HIV-positiven schwangeren Frauen werden - sofern ihr Einverständnis vorliegt - in weltweiten Registern gesammelt. In diesen Registern werden unter anderem die HIV-Medikamente, welche in der Schwangerschaft eingesetzt wurden, und Fehlbildungen am Neugeborenen erfasst. Für die aktuelle Studie wurden nun Daten von zwei weltweiten Registern analysiert, um die Frage beantworten zu können, ob der Einsatz von Dolutegravir in der Schwangerschaft zu einem erhöhten Risiko für Fehlbildungen des Neugeborenen führt.

Im ersten Register wurden insgesamt 265 Schwangerschaften unter Dolutegravir untersucht. 173 Schwangere waren zum Zeitpunkt der Empfängnis oder im ersten Trimenon (erster Drittel der Schwangerschaft) unter Dolutegravir, 92 Schwangere im zweiten oder dritten Trimenon. Bei diesen 265 Schwangerschaften kamen 255 Neugeborene (darunter 9 Zwillingspaare) auf die Welt. Es ergaben sich 6 Schwangerschaftsabbrüche, 11 Fehlgeburten und 2 Totgeburten. Fehlbildungen traten bei 7 (2.7%) der 255 Neugeborenen auf. Fünf Fehlbildungen (3.1%) traten bei Neugeborenen von Müttern auf, welche zum Zeitpunkt der Empfängnis oder während des ersten Trimenon unter Dolutegravir gestanden hatten.

Im zweiten Register wurden insgesamt 100 Schwangerschaften gemeldet, von welchen in 84 Fällen die Daten analysiert werden konnten. Es traten 81 Lebendgeburten, 1 Totgeburt, 1 Schwangerschaftsabbruch und 1 Fehlgeburt auf. Bei den 81 Lebendgeburten wurden 42 Schwangere zum Zeitpunkt der Empfängnis oder im ersten Trimenon mit Dolutegravir behandelt, in 21 Fällen im zweiten und in 17 Fällen im dritten Trimenon. Bei einer Geburt war der Behandlungszeitpunkt mit Dolutegravir unklar. Fehlbildungen traten bei 4 (4.9%) Neugeborenen auf. Drei Fälle betrafen die 42 Frauen (7.1%), die zum Zeitpunkt der Empfängnis oder während des ersten Trimenon unter Dolutegravir gestanden hatten.

Zusammenfassend konnte in der vorliegenden Studie bei 198 Neugeborenen von Müttern, welche zum Zeitpunkt der Empfängnis oder während des ersten Trimenons unter Dolutegravir gestanden hatten, keine erhöhte Fehlbildungsrate gefunden werden. Die häufigste Fehlbildung betraf zudem die Mehrfingrigkeit, welche zu den häufigsten Fehlbildungen überhaupt gehört. Keine einzige Fehlbildung des Neugeborenen betraf das Rückenmark. Diese Daten sind beruhigend in Bezug auf den zukünftigen Einsatz von Dolutegravir in der Schwangerschaft. Allerdings war die Anzahl der untersuchten Schwangerschaften in den vorliegenden beiden Registern zu klein, um definitive Schlüsse zu Dolutegravir und Fehlbildungsraten bei Neugeborenen ziehen zu können. Weitere Studien sind deshalb notwendig, um diese Frage abschliessend klären zu können.

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15. Januar Santos et al., Neurokognitive Beeinträchtigungen bei Patienten aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie


Penetration der antiretroviralen Substanzen in das Zentralnervensystem und neurokognitive Beeinträchtigungen bei Patienten aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie

Neurokognitive Einschränkungen (Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Probleme bei Entscheidungsfindungen) sind bei HIV-positiven Personen häufig. Studien schätzen deren Vorkommen in dieser Personengruppe auf 25 bis 70 Prozent. Ein Faktor, welcher das Auftreten von neurokognitiven Einschränkungen begünstigt, ist die unkontrollierte Vermehrung von HIV im Zentralnervensystem unter Einnahme einer antiretroviralen Therapie. Diesbezüglich könnten antiretrovirale Substanzen, welche gut in das Zentralnervensystem eindringen, dem Auftreten von neurokognitiven Einschränkungen entgegenwirken. Ein Mass, um das Eindringen der antiretroviralen Substanzen in das Zentralnervensystem abschätzen zu können, ist der sogenannte Zentralnervensystem Effektivität Penetrationsscore (CPE). Je höher der CPE Score, desto besser dringen die antiretroviralen Substanzen in das Zentralnervensystem ein. Die Autoren haben in der vorliegenden Studie untersucht, ob ein hoher CPE Score der antiretroviralen Therapie dazu führt, dass der Patient weniger neurokognitiven Einschränkungen aufweist. Das Ergebnis der Studie war überraschend: es bestand keine Assoziation zwischen dem CPE Score und dem Auftreten von neurokognitiven Einschränkungen.

Für die vorliegende Studie wurden 981 Patienten aus der Metabolic and Aging Cohort (M&A) der Schweizerischen HIV Kohortenstudie (SHCS) eingeschlossen. Der Einschluss der Patienten erfolgte über den Zeitraum Mai 2013 bis November 2016. Die Patienten waren alle über 45 Jahre alt. In der Studie wurden nur Patienten eingeschlossen, welche unter einer wirksamen HIV-Therapie standen und eine unterdrückte HIV Viruslast im Blut aufwiesen. Bei allen Patienten wurde durch ein Team von Psychologen eine detaillierte neurokognitive Beurteilung durchgeführt. Es wurde dann der CPE Score zum Zeitpunkt der neurokognitiven Beurteilung ermittelt. Zudem fand eine separate Analyse statt, in der die kumulativen CPE Scores von Beginn der ersten antiretroviralen Therapie des Patienten bis zum Studienende berechnet wurden.

Die meisten Studienteilnehmenden (80 Prozent) waren Männer europäischer Herkunft. Das mediane Alter betrug 53 Jahre. Insgesamt waren neurokognitive Einschränkungen bei 40 Prozent der Patienten vorhanden: in 25 Prozent handelte es sich um asymptomatische neurokognitive Einschränkungen ohne Beeinträchtigung im Alltag. In 0.8 Prozent der Patienten war eine milde Beeinträchtigung vorhanden und in 0.6% bestand eine schwere Demenz. In 13 Prozent der Patienten bestand eine neurokognitive Beeinträchtigung, welche durch andere Faktoren als HIV zustande gekommen war: opportunistische Infektionen des Zentralnervensystems, Toxizität der antiretroviralen Medikamente, psychiatrische Erkrankungen, Substanzenmissbrauch, neurodegenerative Erkrankungen und Hirnschlag. Allerdings waren weder der CPE Score zu einem bestimmten Zeitpunkt der neurokognitiven Beurteilung noch der kumulative CPE Score mit neurokognitiven Einschränkungen der Patienten vergesellschaftet.

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass bei Patienten über 45 Jahre die unter einer wirksamen HIV-Therapie stehen neurokognitive Einschränkungen in 40 Prozent vorhanden sind. In den meisten Fällen sind diese Beeinträchtigungen allerdings derart subtil - und nur durch fundierte neuropsychologische Testungen ermittelbar – so dass sie für die Betroffenen keine Beeinträchtigungen im Alltag hervorrufen. In der vorliegenden Studie waren weder die HIV-bedingten noch die nicht-HIV-bedingten neurokognitiven Einschränkungen mit dem CPE Score vergesellschaftet. In der M&A Studie werden die Patienten nun nach zwei und nach vier Jahren erneut einer neuropsychologischen Testung unterzogen. Dabei wird der Effekt der antiretroviralen Therapie und somit des CPE Scores auf das Auftreten, die Persistenz und das Abklingens neurokognitiver Beeinträchtigungen über die Zeit erneut analysiert.

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